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Gräfenhainichen
Paul Gerhardt wurde in dem damals etwa 1000 Einwohner zählenden Städtchen am
Rande der Dübener Heide als zweiter Sohn einer Gastwirtsfamilie geboren und
erhielt den Namen seines Großvaters, der sich in Gräfenhainichen sesshaft
gemacht hatte. Seine Eltern, der Gräfenhainicher Bürgermeister Christian
Gerhardt und Dorothea Starcke, hatten am 12. Mai 1605 in der Eilenburger
Nikolaikirche geheiratet. Dorothea war eine Tochter des Eilenburger
Superintendenten Caspar Starcke und folgte ihrem Mann in dessen Vaterstadt, die
damals "Henichen" genannt wurde. Hier wurde 1606 zunächst der Sohn
Christian geboren. Es folgten Paul, Anna (1612) und Agnes (1619).
Als Kind besuchte Gerhardt die Stadtschule seiner Heimatstadt, in der er
Grundkenntnisse in der lateinischen Sprache und im Chorgesang erwarb. Sein Vater
verfügte über Gartenland und konnte durch dessen Bewirtschaftung seiner
Familie eine regelmäßige Nahrungsquelle bieten. Durch sein Engagement im Rat
der Stadt erwarb er sich Ansehen und wurde zu einem der drei Bürgermeister der
Stadt gewählt. Bald brachen mit dem Dreißigjährigen Krieg auch in Kursachsen
schwere Zeiten an; Hungersnöte, Seuchen und Übergriffe von Soldaten
dezimierten die Bevölkerung und rotteten ganze Familien aus. Auch Gerhardts
Familie wurde von dem Leid in der damaligen Zeit erfasst, als 1619 sein Vater
und 1621 seine Mutter starben.
Grimma
Gerhardt konnte sich die nötigen Vorkenntnisse erwerben, um am 4. April 1622,
wie schon sein Bruder zwei Jahre zuvor, in die Fürstenschule St. Augustin in
Grimma aufgenommen zu werden. Die Schule galt als Eliteschmiede des sächsischen
Pfarrer- und Beamtennachwuchses. In einem straff organisierten Tagesablauf wurde
den Schülern vor allem Wissen in Religion und Sprachen vermittelt. Daneben
wurden auch die Fähigkeiten in Rhetorik, Dialektik, Musik und Poetik (siehe
auch Artes Liberales) ausgeprägt. Gerhardt kam willig den Anforderungen der
Lehrer nach und hatte keine Schwierigkeiten, sich durch Fleiß und Gehorsam
auszuzeichnen. Daher bescheinigte man ihm das Talent, sich den geforderten
Aufgaben zu stellen. Drei Tage nach seiner erfolgreichen Prüfung verließ
Gerhardt am 15. Dezember 1627 die Fürstenschule und verfügte nun über die
Voraussetzungen, eine Universität zu besuchen.
Wittenberg
Gerhardt entschied sich für die Universität Wittenberg, wo er sich am 2.
Januar 1628 immatrikulierte. Hier fand er Aufnahme in der philosophischen Fakultät,
wo August Buchner Vorlesungen über Dichtkunst hielt, die den Mittelpunkt des
Wittenberger Dichterkreises bildeten, der in Beziehung zur Fruchtbringenden
Gesellschaft und zu dem Dichterkreis in Schlesien um Martin Opitz stand und
Gerhardts Schaffen inspirierte. Gerhardt, der sowohl im Elternhaus als auch in
Grimma mit der Theologie der reinen lutherischen Lehre in Kontakt gekommen war,
fand in Wittenberg bedeutende Lehrer der Lutherischen Orthodoxie.
Vor allem von Paul Röber dürfte Gerhard erfahren haben, dass sich lutherische
Rechtgläubigkeit und tiefe, poetisch geformte Frömmigkeit keineswegs einander
ausschließen. Jener war ein Mann mit vielfältigen Begabungen und schöngeistigen
Neigungen. Er hatte sich mit seinen Predigten hervorgetan, in denen Gefühl und
Phantasie sich nicht ohne spielerischen Redeschmuck und süßliche Wortformen
mit emblematischer Themenfassung und Einstreuung von Liedversen verbanden. So
hat sich Gerhardt hier das Wort und die Wahrheit der Bibel denkend und glaubend
verinnerlicht, was sich später in seinen Liedtexten widerspiegelt und was
Verwandtschaft mit der dichterischen Richtung seiner Zeit verrät.
Die Studienzeit war für Gerhardt nicht ohne Probleme. Finanzielle Mängel
begleiteten sein Dasein, so dass er beim Archidiakon der Wittenberger
Stadtkirche August Fleischhauer in der Collegienstraße 7 eine Anstellung als
Hauslehrer annahm und als solcher in dessen Haus einzog. Auch in Wittenberg
wurden die Folgen des Dreißigjährigen Krieges sichtbar. In der Stadt hatten
viele Menschen Zuflucht gesucht, wodurch im Jahr 1636/37 die Pest eingeschleppt
wurde. Das Kirchenamt musste extra Sterbebücher anlegen, in die ausschließlich
die Pesttoten eingetragen wurden. Auch Paul Gerhardts nahe gelegene Heimatstadt
wurde von den Kriegsereignissen erfasst und am 11. April 1637 von schwedischen
Soldaten vollständig zerstört. Am 7. November 1637 starb zudem Gerhardts
Bruder Christian.
Die Wittenberger Erfahrungen wirkten prägend auf Gerhardt. Am 26. April 1642
verfasste er hier sein erstes Gelegenheitsgedicht anlässlich einer Feier für
das bestandene Magisterexamen des Sohnes eines Hamburger Professors.
Erste Berliner Zeit
Um 1643 wandte sich Gerhardt nach Berlin. Die Stadt war durch den Dreißigjährigen
Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Pest, Pocken und die Ruhr hatten
die Situation noch verschlimmert, so dass sich die Bevölkerungszahl von 12000
vor dem Krieg auf 5000 Einwohner bei Kriegsende reduziert hatte. Hier fand
Gerhardt bei dem Kammergerichtsrat Andreas Berthold und seiner Frau Elisabeth
(geb. Hortleder) eine Anstellung als Hauslehrer. Im selben Jahr heiratete eine
Tochter der Familie namens Sabina, der er mit einem seiner ersten Gedichte,
einer Ode, Glück wünschte.
Gerhardt schuf unter den Eindrücken der Kriegsereignisse weitere Liedtexte und
entwickelte sich dabei auch theologisch. Dabei beschränkte er sich nicht nur
auf die Reflexion dieser Eindrücke, sondern beteiligte sich aktiv an der
geistlichen und geistigen Erbauung seiner Zeitgenossen, denen er in diesem
Kontext neuen Mut und Hoffnung zu geben hoffte.
Sein seelsorgerisch geistlicher Beitrag wurde vor allem an der Berliner
Nikolaikirche deutlich. Hier wirkte seit 1622 Johann Crüger als Kantor, der
1640 erstmalig das Gesangbuch „Praxis Pietatis Melica - Das ist Übung der
Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen“ herausgegeben hatte.
Mit ihm sollte Gerhardt eine langjährige freundschaftliche Zusammenarbeit
verbinden. Als Crüger 1647 sein Gesangsbuch erneut auflegte, befanden sich
bereits 18 Lieder von Gerhardt darin. Bis zur 5. Auflage 1653 stieg ihre Zahl
auf 82. Auch mit dem Propst der Kirche, Petrus Vehr, pflegte Gerhardt
freundschaftlichen Umgang, der ihm später den Weg zum Pfarramt nach Mittenwalde
ebnete.
Mittenwalde
Nach dem Tod des langjährigen 1. Mittenwalder Pfarrers 1651 und einer gewissen
Erholung von den Kriegsfolgen setzte sich der Rat der Stadt in der Frage der
Neubesetzung der Pfarrstelle mit dem Berliner Konsistorium in Verbindung. Dieses
empfahl den theologischen Kandidaten Paul Gerhardt, der in der Berliner Gemeinde
durch Fleiß und Gelehrsamkeit als lutherischer Theologe ein untadeliges Zeugnis
erworben und sich beliebt gemacht hatte. Die Stadtväter von Mittenwalde folgten
dem Anraten und luden Gerhardt am 28. September 1651 zu einer Probepredigt für
zwei Tage ein. Nach der theologischen Prüfung durch das Kirchenamt wurde er am
18. November 1651 in der Berliner Nikolaikirche auf das Konkordienbuch, d.h. die
Confessio Augustana sowie auf deren Apologie, die Schmalkaldischen Artikel, den
kleinen und großen Katechismus und die Konkordienformel verpflichtet und
ordiniert.
Daraufhin wurde er am 30. November in sein Amt eingeführt. Von nun an gehörte
es zu seinen Aufgaben, der Gemeinde beim Gottesdienst die Predigt zu halten und
das Abendmahl zu reichen. So führte er auch die Amtshandlungen zu Taufen,
Trauungen, Beichten und Begräbnissen durch. Mit der Übernahme des Propst-Amtes
war er auch Inspektor der umliegenden Pfarreien geworden. Ihm unterstanden elf
Pfarrstellen in Königs Wusterhausen, Gräbendorf, Teupitz und Gussow, die er
theologisch und verwaltungsmäßig kontrollieren, beraten und unterstützen
musste. In seinen vier erhalten Leichenpredigten ist eine volkstümliche und
gegenständliche Predigtweise erkennbar. Dabei beschränkt er sich auf eine
detaillierte, eingängige Erklärungsweise, deren Einfachheit sich auch in
seinen Liedern widerspiegelt.
Neben seiner pfarramtlichen Tätigkeit pflegte er auch in Mittenwalde die
Liedkunst. 1653 erschien die fünfte Auflage von Crügers Gesangbuch, indem sich
64 neue Lieder von Gerhardt befanden. Während dieser Zeit verfasste er unter
anderem das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“, das heute zum
Weltkulturerbe gerechnet wird und in der 6. Auflage von Crügers Gesangbuch 1656
erschien. Es ist die Übersetzung des lateinischen „Salve caput cruentatum“
von Arnulf von Löwen, das lange Zeit Bernhard von Clairvaux zugeschrieben wurde
und durch Johann Sebastian Bach in der Matthäus-Passion Eingang fand.
Während dieser Zeit hat er nie die Beziehungen zur Berliner Gemeinde vernachlässigt.
Am 11. Februar 1655 heiratete er Anna Maria (* 19. Mai 1622), die Tochter von
Andreas Berthold. Das Paar wurde im Bertholdschen Haus in Berlin durch Propst
Petrus Vehr getraut. Im Jahr darauf, am 19. Mai 1656, wurde dem Paar eine
Tochter, Maria Elisabeth, geboren, die bereits ein halbes Jahr später am 28.
Januar 1657 starb. Sie wurde in Mittenwalde begraben, wo ihr an der
St.-Moritz-Kirche ein Epitaph errichtet wurde.
Erneut Berlin
Im Mai 1657 wurde Gerhard darüber informiert, dass er zum zweiten Diakon an der
Berliner Nikolaikirche gewählt worden war. Nachdem er am 4. Juni der Wahl
zugestimmt hatte, nahm er am 22. Juli mit der Taufe eines Kindes seine erste
Amtshandlung vor. Mit seiner Frau bewohnte er in dieser Zeit eine Wohnung in der
Stralauer Straße 38.
Der brandenburgische Kurfürst Johann Sigismund war vor dem Krieg vom
lutherischen zum reformierten calvinistischen Glauben übergetreten und erhob
diesen zur Hof- und Beamtenreligion. Seine Untertanen blieben jedoch weitgehend
lutherisch, sodass es zu konfessionellen Spannungen kam. Daraufhin übernahm der
Kurfürst Friedrich Wilhelm das Verfügungsrecht über die
Kirchenangelegenheiten und begann eine Politik, die die Lutheraner ausgrenzte.
Dies führte wiederum zu einer Verschärfung des Konflikts und zur verstärkten
Auseinandersetzung mit den Vertretern der lutherischen Orthodoxie, wie am
Beispiel Abraham Calovs ersichtlich ist. Die Folge war, dass der Kurfürst
seinen Untertanen verbot, an der Universität Wittenberg zu studieren.
Auch im Land des Kurfürsten selbst regte sich der Unmut der lutherischen
Theologen, deren Zentrum Berlin war. So war auch Gerhardt an den
Auseinandersetzungen beteiligt und vertrat vehement den lutherischen Standpunkt,
um dem Synkretismus keinen Vorschub zu leisten. Die starre Haltung der
Lutheraner kam der Politik des Kurfürsten nicht gelegen. Er sah darin eine Gefährdung
des Friedens und verordnete daher am 16. September 1664 das Toleranzedikt. Die
Verordnungen der reformierten Lehre waren für den lutherischen Standpunkt nicht
vertretbar, bedeuteten sie doch die Anerkennung einer vermeintlich ketzerischen
Religion und damit die Abkehr vom unverfälschten selig machenden Glauben.
Dennoch forderte der Kurfürst die Lutheraner auf, das Toleranzedikt mit ihrer
Unterschrift anzuerkennen. Die sich weigerten wurden vom Kurfürsten entlassen.
Am 31. Januar 1666 sollte auch Gerhardt seine Unterschrift leisten. Wie viele
andere verwehrte er diese und wurde daraufhin am 13. Februar als Pfarrer
entlassen. Die Berliner Bürger und Gewerke waren mit der Amtsenthebung
Gerhardts nicht einverstanden und forderten in einer Vielzahl von Eingaben
dessen Wiedereinsetzung unter Befreiung der Unterschriftsleistung. Der Berliner
Magistrat wandte sich daher an den Kurfürsten, der dieses Ansinnen zunächst
ablehnte. Da sich Gerhardt mit seinen geistlichen Liedern auch außerhalb
Berlins Ansehen erworben hatte, intervenierten die märkischen Landstände gegen
Gerhardts Entlassung. Der Kurfürst setzte Gerhardt am 12. Januar 1667 wieder in
sein Amt ein. Der jedoch verzichtete aus Glaubens- und Gewissensgründen auf
sein Amt. Daraufhin verfügte der Kurfürst am 4. Februar 1667 die endgültige
Entlassung Gerhardts, der nun ohne Einkommen war.
Bereits 1666 hatte er begonnen kleine Hefte anzulegen, die bis zum Jahr 1667
gedruckt wurden und jeweils 12 Arbeiten von Gerhardt enthielten. Diese wurden in
den 1667 erschienen "Geistlichen Andachten" als erste Gesamtausgabe
seiner Liedertexte zuammengefasst. Herausgeber war Johann Georg Ebeling, der als
neuer Kantor an der Nikolaikirche der Nachfolger Johann Crügers war. Die
Ausgabe wurde in Berlin und Frankfurt/Oder gedruckt. Sie enthält 120 Lieder von
Gerhardt, darunter 26 Neuerscheinungen. In jene Zeit der Entbehrungen fiel auch
der Tod seiner Frau Anna Maria, die am 5. März starb. Dem Paar waren zwar noch
die Kinder Anna Catharina, Andreas Christian und Andreas geboren worden, die
aber bald verstorben waren. Einzig der Sohn Paul Friedrich überlebte seine
Eltern.
Lübben
Am 5. September 1668 war der Pfarrer von Lübben gestorben. Der Rat von Lübben,
das damals nicht zu Brandenburg, sondern zu Kursachsen gehörte, suchte
daraufhin eine geeignete Person zur Neubesetzung der Stelle. Man entschloss
sich, Gerhardt zu einer Gastpredigt einzuladen. Gerhardt folgte bereitwillig dem
Ruf nach Lübben und hielt dort am 14. Oktober 1668 seine Gastpredigt. Daraufhin
wurde er am 29. Oktober 1668 durch den Bürgermeister und den Rat in das Amt des
Archidiakons an der damaligen Nikolaikirche berufen. Sein Amtsantritt verzögerte
sich, weil sein Sohn erkrankt und zudem die angebotene Unterkunft viel zu klein
für den Hausstand Gerhardts war.
Daher wurde durch den Rat zunächst die Wohnung ausgebaut und Gerhardt zog erst
im Juni 1669 nach Lübben, wo er am 16. Juni feierlich in sein Amt eingeführt
wurde. Hier verbrachte er seine letzten Lebensjahre in bescheidenen Verhältnissen.
Dennoch hat er stets seine geistlich-seelsorgische Arbeit erledigt und die
organisatorischen Kirchenangelegenheiten geklärt. Gerhardt starb in seinem 70.
Lebensjahr am 27. Mai 1676 in seiner Lübbener Pfarrwohnung. Er wurde im
Chorraum nahe dem Altar seiner letzten Wirkungsstätte beigesetzt, die seit 1930
seinen Namen Paul-Gerhardt-Kirche trägt.
Ihm zu Ehren erhielt die Kirche in Lübben ein Gedenkgemälde. Dieses ist von
einem unbekannten Maler um 1700 geschaffen worden und mit einem lateinischen
Epigramm von Gottlieb Wernsdorf dem Älteren versehen. Übersetzt lautet dieses:
Wie lebend siehst Du hier
Paul Gerhardts teures Bild,
Der ganz vom Glaube, Lieb und Hoffnung
War erfüllt.
In Tönen voller Kraft,
gleich Asaphs Harfenklängen
Erhob er Christi Lob
Mit himmlischen Gesängen.
Sing seine Lieder oft, o Christ, in heil’ger Lust,
so dringet Gottes Geist
durch sie in deine Brust.
Bedeutung
Ein literarisches Kunstwerk hat erst dann Wert, wenn es in die Gedanken- und Gefühlswelt
der Menschen vorgedrungen ist und deren Geist neu befruchtet hat. Das gilt für
Paul Gerhardts Lieddichtungen uneingeschränkt. Obwohl er einer uns recht fern
liegenden geistigen und dichterischen Zeit angehört, lebt er heute noch
unmittelbar im Bewusstsein seiner Werke fort. Dass seine Lieder ausschließlich
religiösen Charakter tragen, darf nicht als Einseitigkeit angesehen werden, sie
entsprechen ganz der Eigenart seiner religiös orientierten Zeit und sind der
typische Ausdruck jener Periode. In Gerhardt reflektiert sich die innere
Trennung der Persönlichkeit von altkirchlicher Gebundenheit, theologischer
Einseitigkeit und zugleich die Verkörperung eines selbstständigen natürlichen
Denkens und Empfindens. Wenngleich er in den Überlieferungen der orthodoxen
Vergangenheit verwurzelt ist und an ihnen festhält, so ragt er doch in seinen
Dichtungen über sein Jahrhundert heraus bis in unsere Zeit.
Dabei steht ihm der Verdienst zu, die Entwicklung vom Bekenntnislied zum
Andachtslied und das zuversichtliche Preis- und Gedankgebet gefördert zu haben.
Seine Gedichte haben sich in ihrer Stimmung auch zu Volks- und Familienliedern
christlichen Glaubens entwickelt. Sie verkünden Freude, Liebe und lassen Leid
ahnen. Sie wollen Trost spenden, die Herzen rühren und an die Jahreszeiten
erinnern. Sie huldigen fröhlich dem Baum, der Wiese, der Lerche, dem Bach, und
demonstrieren sein irdisches Vergnügen in Gott.
Seine Dichtungen haben nicht nur die Zeiten überdauert, sondern sind grenz-übergreifend
zwischen konfessionellen und sprachlichen Schranken geworden. So wurden sie ins
holländische, französische, englische, spanische, aber auch in afrikanische,
asiatische und in andere Sprachen übersetzt. Sie fanden in den katholischen
Gesangbüchern Eingang, und auch in der reformierten Kirche werden sie gesungen.
Damit ist Gerhard zum ökumenischen Dichter geworden. Da Gerhardt für fast jede
Festgelegenheit gedichtet hat, begegnet er uns auch immer wieder. Die ständige
Berührung mit seinen Texten macht sie gegenwärtig und lässt so auch ihrem
Dichter im zeitlosen Andenken der Menschheit verharren. Dadurch hat Gerhardt wie
kein anderer Dichter geistlicher Lieder Bedeutung erlangt, indem er das Beste
der neuen Zeit an sich zieht und so das alte mit dem neuen, das geistliche und
volkstümliche mit dem gelehrt-künstlerischen meistens zu vollkommener Einheit
verbindet.
Von den geistlichen Erfahrungen, die Paul Gerhardt gemacht hat, zeugt auch
sein Testament:
TESTAMENT PAUL GERHARDTS
"Nachdem ich nunmehr des 70. Jahr meines Alters erreicht, auch dabei die fröhliche
Hoffnung habe, daß mein lieber frommer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen
und in ein besseres Leben führen werde, als ich bisher auf Erden gehabt habe:
so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von
meiner Mutter Leibe an bis auf jetzige Stunde an Leib und Seele und an allem,
was er mir gegeben, erwiesen hat.
Daneben bitte ich von Grund meines Herzens, er wolle mir, wenn mein Stündlein
kommt, eine fröhliche Abfahrt verleihen, meine Seele in seine väterlichen Hände
nehmen, und dem Leibe eine sanfte Ruhe in der Erde bis zu dem lieben jüngsten
Tage bescheren, da ich mit allen Meinigen, die nur vor mir gewesen und auch künftig
nach mir bleiben möchten, wieder erwachen und meinen lieben Herrn Jesum
Christum, an welchen ich bisher geglaubet und ihn doch nie gesehen habe, von
Angesicht zu Angesicht schauen werde.
Meinem einzigen hinterlassenen Sohne überlasse ich von irdischen Gütern wenig,
dabei aber einen ehrlichen Namen, dessen er sich sonderlich nicht wird zu schämen
haben.
Es weiß mein Sohn, daß ich ihn von seiner zarten Kindheit an dem Herrn meinem
Gott zu eigen gegeben, daß er ein Diener und Prediger seines heiligen Wortes
werden soll. Dabei soll er nun bleiben und sich daran nicht kehren, daß er nur
wenig gute Tage dabei haben möchte; denn da weiß der liebe Gott schon Rat zu
und kann das äußerliche Trübsal mit inniglicher Herzenslust und Freudigkeit
des Geistes genugsam ersetzen.
Die heilige Theologiam studiere in reinen Schulen und auf unverfälschten
Universitäten, und hüte dich ja vor Synkretisten, denn sie suchen das
Zeitliche und sind weder Gott noch Menschen treu.
In deinem gemeinen Leben folge nicht böser Gesellschaft, sondern dem Willen und
Befehl deines Gottes. Insonderheit
1. tue nichts Böses, in der Hoffnung, es werde heimlich bleiben, denn es wird
nichts so klein gesponnen, es kommt an die Sonnen.
2. Außer deinem Amte und Berufe erzürne dich nicht. Merkst du dann, daß der
Zorn dich erhitzet habe, so schweige stockstille und rede nicht eher ein Wort,
bis du ernstlich die 10 Gebote und den christlichen Glauben bei dir ausgebetet
hast.
3. Der fleischlichen sündlichen Lüste schäme dich, und wenn du dermaleinst zu
solchen Jahren kommst, daß du heiraten kannst, so heirate mit Gott und gutem
Rat frommer, getreuer und verständiger Leute.
4. Tue Leuten Gutes, ob sie dir es gleich nicht zu vergelten haben, denn was
Menschen nicht vergelten können, das hat der Schöpfer Himmels und der Erden längst
vergolten, da er dich erschaffen hat, da er dir seinen lieben Sohn geschenket
hat, und da er dich in der heiligen Taufe zu seinem Kinde und Erben auf- und
angenommen hat.
5. Den Geiz fleuch als die Hölle, laß dir genügen an dem, was du mit Ehren
und gutem Gewissen erworben hast, ob es gleich nicht allzuviel ist. Beschert dir
aber der liebe Gott ein Mehreres, so bitte ihn, daß er dich vor dem leidigen Mißbrauche
des zeitlichen Gutes bewahren wolle. Summa, bete fleißig, studiere was
Ehrliches, lebe friedlich, diene redlich und bleibe in deinem Glauben und
Bekenntnis beständig, so wirst du einmal auch sterben und von dieser Welt
scheiden willig, fröhlich und seliglich. Amen."
Nachwirkung
Leider hat Paul Gerhardt in seiner Zeit nicht immer die gebührende Würdigung
gefunden. Der damals herrschende Pietismus verhielt sich gegenüber dem Dichter
genauso gleichgültig wie das ihm folgende Zeitalter der Aufklärung, als sogar
mit unqualifizierter Hand verunstaltend in seine Werke eingegriffen wurde. Erst
nach den Befreiungskriegen mit dem Erwachen eines neuen andachtsbedürftigen
Glaubenslebens ist Gerhard zu der Anerkennung gelangt, die er beanspruchen darf.
Erst 200 Jahre nach seinem Tod wurde in seiner letzen Ruhestätte in Lübben
1876 eine Gedenktafel angebracht (1976 erneuert) und 1907 vor der Kirche ein
Denkmal errichtet. Im Jahre 1930 gestaltete man das Eingangsportal zum Turm der
Kirche neu und versah dieses mit Gerhardts Liedzeile "Alles Ding währt
seine Zeit, Gottes Lieb in Ewigkeit".
Die Geburtsstadt Gräfenhainichen hat zum Gedächtnis 1830 eine Paul Gerhardt
Kapelle und 1907 ein Paul Gerhardt Haus errichtet, wo sich auch das 1911
geschaffene Denkmal von Johann Friedrich Pfannschmidt befindet; die Lutherstadt
Wittenberg bewahrt sein Andenken im Paul Gerhardt Stift, der Paul Gerhardt Straße
und den beiden Gedenktafeln am Wohnhaus von Paul Gerhardt, die sandsteinerne
Gedenktafel von 1924 an der Rückseite des Hauses ist jedoch stark verwittert.
In der Mittenwalder St. Moritzkirche hat man 1950 buntbleiverglaste Chorfenster
von Gerhard Olbricht eingefügt, die Paul Gerhardt als Prediger und Dichter
zeigen. Nach einem Festgottesdienst am 14. Juli 2001 hat man an der Südseite
der Stadtpfarrkirche ein Denkmal enthüllt, das nach der Vorlage des Gipsmodells
von Pfannschmidt aus dem Jahre 1905 gefertigt wurde. Dieses befindet sich im
Diakonissenmutterhaus im Paul Gerhardt Stift Berlin. Ebenfalls in Berlin hat man
an seiner Hauptwirkungsstätte, der Berliner Nikolaikirche, 1957 eine
Gedenktafel angebracht, sowie eine zweite, die im Jahre 1999 errichtet wurde und
auf Gerhardt und Johann Crüger hinweist.
Doch nicht nur in den Hauptwirkungsstätten finden sich die Spuren Gerhardts. Da
er als Dichter grenzüberschreitend wirkte, findet sich sein Name in vielen
deutschen Städten und Gemeinden an Schulen, Kindergärten, Häusern, Straßen,
Kirchen und Gemeinden. Diese Einrichtungen halten den Namen Paul Gerhardts im
Andenken der Menschen aufrecht.
Günter Grass hat Paul Gerhardt 1979 in seinem Werk Treffen in Telgte ein
literarisches Denkmal gesetzt. Er beschreibt Paul Gerhardt dort als
Gesellschaftskritiker.
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