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Es darf als historische Tatsache gelten, dass Jesus zur Zeit der römischen Herrschaft über Palästina am Kreuz hingerichtet worden ist. Die römische Kreuzigung war eine weitgehend unblutige Strafe. „Der Tod am Kreuz wird durch eine allgemeine Hyp- und Anoxie hervorgerufen, die durch traumatischen Schock, orthostatischen Kollaps, Ateminsuffiziens und Herzbeuteltamponade verursacht werden und sich in ihren Auswirkungen gegenseitig verstärken.“ (C. M. Pilz, Tod am Kreuz, Erlangen 1986, 147) Gründe dafür, dass der Tod Jesu pathophysiologisch anders verlaufen sein könnte, als hier beschrieben wird, sind nicht bekannt. Sollte es zu Blutungen gekommen sein, dürften sich diese in Grenzen gehalten und auf keinen Fall die Todesursache dargestellt haben.
Doch das Neue Testament redet an gar nicht so wenigen Stellen vom „Blut Jesu/Christi“ und bringt dieses Blut mehr oder weniger deutlich mit seinem Tod am Kreuz in Verbindung. Dementsprechend sind auch unsere Kirchenlieder voll von der Vorstellung vom „Kreuz …, an dem er sein Blut vergoß“, und selbst in einem modernen Lexikon wie der RGG4 wird kommentarlos vom „beim Tod Christi vergossenen B.“ gesprochen (C. Breitenbach, Art. Blut Jesu Christi, I Neues Testament, RGG4 1, Tübingen 1998, 1651).
Einige Kommentatoren geben sich nun Mühe zu betonen, dass an solchen Stellen nicht die Substanz des Blutes gemeint sei, sondern vielmehr vom Tode Jesu metaphorisch geredet würde. In diesem Zusammenhang wird zuweilen auf einen älteren Lexikonartikel von J. Behm verwiesen, für den „Blut“ oft nur eine bildliche Ausdrucksweise für „gewaltsam zerstörtes Leben, Tod, Mord“ ist, die „ohne peinlich[e] Rücksicht auf wirkliches Blutvergießen“ verwendet würde (J. Behm, Art. αἷμα, αἱματεκχυσία, ThWNT 1, Stuttgart 1933, 172). Dies könnte vielleicht für die Wendung „in (ἐν) meinem Blut“ in den Abendmahlsworten nach 1 Kor 11,25 und Lk 22,20 gelten, da „in der Nacht, da er verraten ward,“ Jesus zwar mit seinem Tode rechnen, die Art und Weise seiner Hinrichtung aber doch wohl kaum vorhersehen konnte. Doch die Deutung des „Blutes Jesu“ als eine nur bildliche Ausdrucksweise fällt schon bei der Erklärung des Pilatus in Mt 27,24 (Sondergut) – „Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen“ – schwerer, ist doch unmittelbar zuvor in 27,22 und 23 bereits das Wort σταυρωθήτω (er soll gekreuzigt werden) gefallen und insofern die Symbolhandlung des Händewaschens als Reinigung von dem vergossenen Blut mindestens in der jetzigen Komposition der Überlieferungen davon nicht mehr zu trennen.
Das entscheidende Argument dagegen, dass die Erwähnung des „Blutes Jesu/Christi“ nur ein Bild für „gewaltsam zerstörtes Leben, Tod, Mord“ sei, ist nun aber, dass an den meisten einschlägigen Stellen in den Briefen und Schriften des Neuen Testaments die verwendeten Metaphern nur mit der Vorstellung von realem Blut funktionieren, das zu einer weiteren Verwendung zur Verfügung steht und dafür auch in einer relativ großen Menge vorliegen muss.
So wird das Blut Jesu als Kaufpreis gedeutet: Offb 5,9 preist das „Lamm“ mit den Worten: „du hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft“ (ἠγόρασας). 1 Petr 1,18-19 verbindet das Prädikat „ihr seid erlöst“ (ἐλυτρώθητε) mit der Adverbialbestimmung „mit dem teuren Blut Christi“. Und der Verfasser des Epheserbriefes zählt Eph 1,7 die Bedeutungen Jesu Christi auf und spricht in diesem Zusammenhang von der „Erlösung, Loskaufung“ (ἀπολύτρωσις) „durch sein Blut“. Nach Hebr 9,12 hat Jesus „durch sein eigenes Blut“ den Zugang zum Allerheiligsten und damit die Möglichkeit zum „Loskaufen“ (λύτρωσις) erworben. In diesem Zusammenhang ist auch auf Paulus´ Abschiedsrede in Apg 20,28 hinzuweisen: Der Verfasser lässt Paulus seine Zuhörer ermahnen, die Gemeinde Gottes „zu weiden“, „die [Gott] durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat“ (periepoih,sato). Hier ist das vergossene Blut nicht nur Zeichen verströmten Lebens, sondern ein geldwertes Mittel.
An einigen Stellen wird das Blut Jesu/Christi zur kultischen Besprengung verwendet: So bezeichnet der Verfasser des 1. Petrusbriefes seine Leser in 1,2 als Menschen, die „zur ... Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“ ausgewählt worden sind. Von einem „Blut der Besprengung“, das über die Leser ausgegossen worden sei, redet auch Hebr 12,24. Und zu dem Thema „Besprengung mit Blut“ gehört schließlich auch Röm 3,25 als „ein vorpaulinisches Zitat …, das dem Apostel vorgegeben war“ (E. Lohse, Der Brief an die Römer, Göttingen 2003, 133): Der Verfasser des Textes stellt sich Jesus am Kreuz besudelt mit seinem eigenen Blut vor und vergleicht diesen Anblick mit der Deckplatte der Lade im Jerusalemer Tempel, die durch die Besprengung mit dem Blut der vielen Opfertiere dunkelrot gefärbt gewesen sein muss. So steht an all diesen Stellen die Vorstellung im Hintergrund, die Kreuzigung sei mit einem erheblichen Blutverlust einhergegangen, dessen Menge zur Besprengung von Personen und Gegenständen ausreicht.
Noch deutlicher wird die Vorstellung von der großen Menge an Blut, die beim Tode Jesu geflossen sein soll, wenn dieses Blut als Waschlauge beschrieben wird: In Offb 1,5 übermittelt der Verfasser seinen Lesern einen Friedensgruß von „Jesus Christus, welcher … uns erlöst hat von unsern Sünden mit seinem Blut“, wobei viele Handschriften an Stelle des „erlöst“ (lu,santi) die lectio difficilior „gewaschen“ (λούσαντι) bieten. Diese Konjektur wird durch Offb 7,14 gestützt, wo der Seher die Identität einer Gruppe von Menschen in weißer Kleidung erfragt und erfährt: „Diese sind´s, die ... haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes.“
Wenn auch an den diesen Stellen der Kreuzestod nicht ausdrücklich als Quelle des Blutes erwähnt wird, so räumt Kol 1,20 den letzten Zweifel daran aus, dass sich die Verfasser einiger neutestamentlicher Schriften das Ende Jesu als einen blutigen Tod vorgestellt haben: „[d]er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz“ oder „durch das Blut seines Kreuzes“. Aus welcher Quelle die Wendung auch immer stammen mag – der Verfasser des Kolosserbriefes wird sie nicht ohne Überlegung niedergeschrieben haben und war wohl tatsächlich der Überzeugung, dass Jesus am Kreuz in nennenswertem Maße Blut verloren hat. Dasselbe gilt für Eph 2,13 und 16, auch wenn hier die Verknüpfung von „Blut“ und Kreuz“ lockerer ist. Und der Verfasser des 1. Johannesbriefes meint in 1 Joh 5,6.(8), man erkenne Jesus als Sohn Gottes daran, dass er „gekommen ist durch Wasser und Blut“, also, wie es R. Bultmann, Die drei Johannesbriefe, Göttingen 1967, 82, interpretiert hat, „getauft ... und gekreuzigt worden ist“. Erwähnt der Johannes zwar in seinem Brief das Kreuz an keiner einzigen Stelle, so muss doch auch er gewusst haben, dass Jesus am Kreuz umgebracht worden war. Offenbar sieht auch er in der Verblutung den pathologischen Grund für den Tod Jesu.
Man muss schon die Frage stellen, ob jemand, der über den Charakter und die Einzelheiten einer römischen Kreuzigung informiert worden ist, mit gutem Gewissen zu einer sprachlichen und damit logischen Verbindung der Begriffe „Kreuz“ und „Blut“ greifen konnte. Vielmehr keimt der Gedanke auf, dass den Verfassern der genannten Briefe und Schriften das Wesen und die Besonderheiten der Kreuzigungsstrafe gar nicht bekannt gewesen sind. J. G. Cook, Roman Crucifixions, ZNW 104 (2013), 1-32, hat nämlich eine Liste der Kreuzigungen zusammengestellt, die sich im Zeitraum „[f]rom the Second Punic War to Constantine“ im römischen Herrschaftsbereich belegen lassen. Darunter findet sich für die Abfassungs- und Veröffentlichungszeit der neutestamentlichen Briefe und Schriften, aus denen die oben angeführten Zitate stammen, also von der Mitte des 1. bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr., kein einziger Hinweis auf eine Hinrichtung am Kreuz in den griechisch sprechenden Regionen des Römischen Reiches beiderseits der Ägäis (einschließlich des „Sandschaks von Alexandrette“). Die oben zitierten neutestamentlichen Schriften sind aber ausgerechnet in diesem Bereich abgefasst und auch überwiegend an Leser in den genannten Regionen gerichtet worden:
– Der Brief des Paulus an die Römer ist nach weitverbreiteter Auffassung in Korinth geschrieben worden (U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 82013, 135). Es ist nicht auszuschließen, dass Paulus mit Röm 3,25-26 (und auch Röm 5,9) Gedanken und Formulierungen aufgreift, die er dort kennengelernt hat.
– Nach J. Gnilka, Das Matthäusevangelium II. Teil, Freiburg u. a. 1988, 514, gibt es „einen sensus communis innerhalb der Exegetenschaft, daß Syrien das Land ist, wo das Evangelium“ des Matthäus „entstand.“ U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), Düsseldorf u. a. 52002, 100-101, hält die Abfassung des Buches nur in „eine[r] größere[n] syrische[n] Stadt, deren lingua franca Griechisch war“ für denkbar und sagt: „M. E. ist Antiochien nicht die schlechteste Hypothese.“ Vielleicht stammt das Sondergut Mt 27,22-23 aus diesem Raum; damit befinden wir uns am äußersten nordwestlichen Rand Syriens.
– Für die Entstehung der Apostelgeschichte des Lukas ist eine ganze Reihe von Orten vorgeschlagen worden, von denen die meisten in Griechenland liegen. „Indizien im Doppelwerk selbst schließen“ nach R. Pesch, Die Apostelgeschichte. 1. Teilband, Düsseldorf u.a. 32005, 28, „nur den palästinisch-syrischen Raum als Entstehungskreis aus.“
– Über den Verfasser des Briefes an die Epheser kann P. Pokorný, Der Brief des Paulus an die Epheser, Leipzig 1992, 37, 42, nur sagen, dass er „im Wirkungsbereich des Kolosserbriefes in der Provinz Asia gelebt“ und „offensichtlich“ an „kleinasiatische Christen in der Provinz Asia“ geschrieben hat.
– „Der Anlass für“ den Brief an die Kolosser „sind die Verhältnisse im Lykostal. Als Abfassungsort kommt nur ein Ort in Frage, an dem die paulinische Theologie und Mission aktiv weitergeführt wurde. ... Das spricht“ nach L. Bornmann, Der Brief des Paulus an die Kolosser, Leipzig 2012, 51, „für das ca. 170 km entfernte Ephesus, das vom Lykostal in sechs Tagen erreicht werden konnte“.
– Gerichtet ist der 1. Petrusbrief nach eigener Aussage in 1,1 nach „Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asien und Bithynien“. Als Abfassungsort bringt U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 82013, 480-481, – entgegen der traditionellen Auffassung einer Herkunft aus Rom – mit guten Argumenten Kleinasien ins Gespräch.
– Für den 1. Johannesbrief dürfte laut H.-J. Klauck, Der erste Johannesbrief, Zürich, Neukirchen-Vluyn 1991, 48, „[e]ine sehr beachtliche altkirchliche Tradition, die älter ist als Irenäus“, gelten, die „das gesamte johanneische Schrifttum nach Ephesus [versetzt].“
– Für den Brief an den Hebräer ist leider E. Gräßer, An die Hebräer. 1. Teilband Hebr 1-6, Zürich, Neukirchen-Vluyn 1990, 22, zuzustimmen: „So unbestimmbar wie der Verf. sind auch Ursprungs- und Zielort des Hebr.“
– Die Offenbarung des Johannes hat wohl ein aus Palästina stammender Migrant (G. Maier, Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 1-11, Witten 2009, 18, 20, 109) auf der Insel Patmos geschrieben und sein Buch an sieben namentlich genannte Gemeinden in Kleinasien gerichtet.
Unsere These, a) dass sich hinter der Rede vom Blut, das Jesus am Kreuz vergossenen habe, in einigen Büchern und Briefen des Neuen Testaments eine realistischere Vorstellung verbirgt als nur ein „anderer, anschaulicherer Ausdruck für den Tod Christi“, und b) dass diese realistischere Vorstellung nur dort entstehen und lebendig bleiben konnte, wo für die Entstehungszeit der neutestamentlichen Schriften keine Kreuzigungen belegt sind und deshalb der besondere Charakter dieser Hinrichtungsart mehr oder weniger unbekannt gewesen sein muss, wird mittelbar durch die Offenbarung des Johannes gestützt:
Der Verfasser der Offenbarung verwendet das Wort „Kreuz“ an keiner Stelle. Von einer Kreuzigung ist lediglich in Offb 11,8, welche Stelle in ihrer Authentizität seit alters umstrittenen ist, die Rede: „Und ihre Leichname werden auf dem Marktplatz der großen Stadt liegen, die geistlich Sodom und Ägypten heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt (ἐσταυρώτη) wurde.“ Aber der Abschnitt 11,3-14 wird als eine vom Verfasser der Apokalypse verarbeitete (jüdische) Vorlage betrachtet, weil der Text „Vorstellungen“ enthält, „die in der Offb sonst überhaupt nicht vorkommen“ (A. Satake, Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 2008, 262).
Dass der Verfasser der Offenbarung in seinem Originalton das Kreuz verschweigt, muss auf dem Hintergrund der Tatsache betrachtet und gewürdigt werden, dass gerade für ihn die Vorstellung vom Blut Jesu laut Offb 1,5; 5,9; 7,14, 12,11 und 19,3 eine besonders große Rolle spielt. Doch ist das eben nicht das Blut des Gekreuzigten, sondern das eines geschlachteten Lammes. Vielleicht griff er zu dem Bild vom Blut des geschlachteten Lammes, weil er den für ihn wichtigen Begriff „Blut Jesu“ mit seiner Kenntnis über Kreuzigungen und damit auch der Kreuzigung Jesu nicht in Einklang bringen konnte? Soweit sich nämlich seine Biographie erhellen lässt, wird „wegen der semitischen Sprachfärbung und der Fundierung im AT“ seines Buches vermutet, dass „der Verfasser ... ein ,palästinensischer Jude‘ gewesen sein muss.“ (G. Maier, Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 1-11, Witten 2009, 18, 20, 109) A. Satake, Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 2008, 33, geht in der Indentifizierung noch einen Schritt weiter und hält ihn für einen ehemaligen „Apokalyptiker des Judentums“, der „erst nach seiner Ankunft in Kleinasien mit dem Christentum enger in Berührung gekommen ist“. Als palästinischer Jude aber musste er über den unblutigen Charakter der Kreuzesstrafe informiert gewesen sein, lassen sich doch für seine Zeit Kreuzigungen in Palästina belegen. So übernahm er zwar von seinen christlichen Lehrern die Rede vom vergossenen Blut Jesu, stellte es jedoch im Bilde vom geschlachteten Lamm dar und verschwieg das Kreuz, um glaubwürdig zu bleiben.
Unsere Kirche hat sich diese Bemühung um Glaubwürdigkeit leider nicht zum Vorbild genommen und schreibt, redet und singt nach wie vor vom „Kreuz …, an dem er sein Blut vergoß“ (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Nr. 77). Die geschichtliche Wahrheit gebietet aber äußerste Zurückhaltung gegenüber denjenigen Stellen des Neuen Testaments, die vom „Blut Jesu/Christi“ reden. Bibelstellen mit dieser historisch unzutreffenden Behauptung sollten nicht ohne Kommentar zitiert werden und auch nicht als biblischer Bezug in einer Rechtfertigungslehre Verwendung finden.
Volker Wagner, Leipzig
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