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Latour, B.: Existenzweisen

Drei Gründe machen dieses neue Buch des erst nach der Jahrtausendwende auch in Deutschland bekannteren Autors zu einem besonderen Buch.

1. Was gleich auffällt, ist etwas sehr Äußerliches. Es gibt keine Anmerkungen und keine Literaturliste! Und das bei fast 650 Textseiten; "wieso das?" fragt man sich unwillkürlich. Liest man sich in das Buch rein und informiert sich über den mehrfach preisgekrönten Verfasser, dämmert es einem so langsam.

2. Das Formale hat inhaltliche Gründe. Der 1947 geborene Franzose ist nämlich seit 1982 Professor für Philosophie in Paris. Er verknüpft sein immer eigenständiges, manchmal eigenwilliges universales Denken mit soziologischem Gedankengut; er ist außerdem Mitbegründer der sogenannten Akteur-Netzwerk-Theorie. Deshalb -

3. das ist das Entscheidende – will dieses Buch nicht fertige, abgeschlossene Ergebnisse präsentieren. Sein Ziel ist es nämlich, "ein Inventar der Modernen zu erstellen" (S. 45). Dieser Untersuchungsbericht über "das gesamte System der Erde" (S. 35) ist als Diskussionsgrundlage zu verstehen; siehe dazu http://www.modesofexistence.org/ Die Leserinnen und Leser werden bei der Diskussion beteiligt. So ein Projekt ist meines Wissens innovativ und gab es vorher noch nie.

Zusammengefasst und auf den Punkt gebracht: Dieses Buch (14 S. umfasst die sehr ausführliche Inhaltsangabe; Teil 1: "wie sich eine Untersuchung über die Existenzmodi der Modernen ermöglichen lässt"; Teil 2: ""wie sich der Pluralismus der Existenzmodi nutzen läßt"; Teil 3: "wie sich die Kollektive neu efinieren lassen") macht mit dem Denker Latour bekannt, und es ist eines der m.E. wichtigsten Bücher für alle, die nicht nur an ihrer eigenen, persönlichen Gegenwart und Zukunft interssiert sind, sondern die auch Verantwortung für das größere Ganze, ja Weltganze übernehmen wollen. Die verschiedenen Existenzweisen von Wissenschaft, Technologie, Recht, Religion, Wirtschaft, Kunst und Politik werden miteinander ins Gespräch gebracht.

Ausdruck dessen ist Latours anfangs geschilderte fiktive Zusammenkunft von 15 französischen Industriellen mit einem Professor für Klimatologie im Herbst 2010. Man streitet um viele Details, vor allem aber – das zeigt sich im Verlauf der Diskussion – geht es letztlich um eine Gewissheit jenseits der wissenschaftlichen Relativismen, also um Vertrauen, theologisch gesprochen um glauben (vgl. S. 37). (gm)


Bruno Latour
Existenzweisen. Eine Anthropologie der Modernen
(aus dem Französischen von Gustav Roßler)
gebunden, 666 S.
39,95 €

Suhrkamp Verlag

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