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Als ich dieses in Deutschland neue Buch (bereits 2012 auf englisch) aufschlug und reinlas, da fiel mir die bekannte, oft reproduzierte Darstellung ein, die einen mittelalterlichen Mann zeigt, der aus der Käseglocke seiner Welt verwundert ins Weltall hinaus schaut. Der 1937 geborene Medienhistoriker Burke, der 16 Jahre lang an der School of European Studies in Sussex (Großbritannien) lehrte und zuletzt Professor für Kulturgeschichte in Cambridge war, öffnet das Fenster in die weite Welt des stetig wachsenden Wissens. Alle sieben Jahre verdoppelt sich beispielsweise das medizinische Wissen, so hört und liest man immer wieder. Nach seinem ersten Buch „Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft“ (2001), das die Zeit von Gutenberg bis zur Aufklärung betrachtete, widmet er sich jetzt dem Zeitraum von 1750 bis zur Gegenwart, konkret: dem Beginn der großen französischen Encyclopédie (der erste Band erschien 1751) bis zu Wikipedia, dem größten und am leichtesten zugänglichen Nachschlagewerk der Welt.
In drei Kapiteln unterteilt er sein epochales, auf extensivem Quellenstudium beruhenden Werk. Im ersten Kapitel geht es – in Analogie zu den Nachrichtendiensten (CADA: collect, analyze, distribute, act) - unter der Überschrift „Wissenspraktiken“ um das Sammeln, Analysieren, Verbreiten und Anwenden von Wissen. Im zweiten, dem kürzesten der drei Kapitel, werden unter der Überschrift „Der Preis des Fortschritts“ Probleme des ständig wachsenden Wissensberges behandelt. Zum Beispiel bleibt Wichtiges unerkannt. Oder Wissen wird unterdrückt. Oder Wissen gerät in Vergessenheit beziehungsweise es ist trotz Suchmaschinen nicht greifbar. Oder Wissen bleibt umstritten. Fallbeispiele exemplifizieren all´ das. Und dann das wohl größte Problem: einerseits ist Spezialwissen (die Zunft der Experten!) notwendig, andererseits entsteht die Gefahr, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Im dritten Kapitel geht es um die „Sozialgeschichte in drei Dimensionen“: erstens um die Geographien des Wissens („Galt Wissen früher einmal als objektiv und universell,wird es inzwischen als räumlich, gesellschaftlich und zeitlich situiert betrachtet.“ S. 221), dann um die Soziologie des Wissens und zum Schluss um die „Chronologie des Wissens“.
Man erfährt sehr viel interessante Einzelheiten, beispielsweise von dem deutschen Theologiestudenten Paul Gröhe, der sich inkognito, mit struppigem Haar und Bart – Günter Wallraff lässt grüßen - „1891 für drei Monate in einer Fabrik in Chemnitz anstellen ließ, um die dortigen sozialen Verhältnisse zu untersuchen.“ (S. 47 umgest.) Was ich vermisste, sind Reflexionen zu zukünftigen Entwicklungen und zu den verschiedenen Dimensionen des Wissens (Stichworte: Erfahrungswissen; bloß gelerntes, abfragbares Wissen; Lebensweisheiten).
Kurz gefasst ist dieses Buch ein Muss für alle LehrerInnen, besonders für die an Universitäten Lehrenden und alle an unserer Kulturgeschichte Interessierten. (gm)
Peter Burke
Die Explosion des Wissens
Von der Encyclopédie bis Wikipedia
Aus dem Englischen von Matthias Wolf unter Mitarbeit von Sebastian Wohlfeil
Sachbuch. 2014
392 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag. Großformat
ISBN 978-3-8031-3651-0
29,90 €
Verlag Klaus Wagenbach
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